Pressemitteilung

Klage gegen Steuerbescheid: Höhe der Aussetzungszinsen verfassungswidrig?

01.10.2024
Ein Arbeitnehmer klagt erfolglos gegen seinen Steuerbescheid. Das Finanzamt verlangt für die Zeit zwischen Klage und Urteil 0,5 Prozent Aussetzungszinsen pro Monat – also 6 Prozent pro Jahr. Für den Betroffenen sind das mehr als 9.000 Euro Zinsen. Der Bundesfinanzhof hält diesen gesetzlichen Zinssatz für verfassungswidrig – jetzt ist das Bundesverfassungsgericht am Zug. Der Lohnsteuerhilfeverein Vereinigte Lohnsteuerhilfe e. V. (VLH) erklärt die Zusammenhänge und erläutert den konkreten Fall.
Klage gegen Steuerbescheid: Höhe der Aussetzungszinsen verfassungswidrig?

Aussetzung der Vollziehung: Was ist das?

Grundsätzlich gilt: Ein Einspruch oder eine Klage gegen einen Steuerbescheid haben keine aufschiebende Wirkung. Die oder der Steuerpflichtige muss die festgesetzte Steuer also zunächst bezahlen. Eine Anpassung des Bescheids und eine eventuelle Rückzahlung erfolgen erst, wenn dem Einspruch oder der Klage stattgegeben wird. Ausnahme: Bei ernsthaften Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Bescheids kann eine sogenannte Aussetzung der Vollziehung angeordnet werden – und zwar in einem summarischen Verfahren. Dabei handelt es sich um eine einfachere und schnellere Methode als ein „normales“ Verfahren.

Kommt es zur Aussetzung der Vollziehung, muss die oder der Steuerpflichte vorerst nichts oder lediglich einen Teil des im Steuerbescheid festgesetzten Betrags bezahlen. Doch das birgt ein finanzielles Risiko: Wird die Klage gegen den Bescheid abgewiesen, werden für die Dauer der Aussetzung Zinsen fällig. Und diese Zinsen während der Aussetzung der Vollziehung (AdV-Zinsen) haben es in sich: Sie liegen bei 0,5 Prozent pro vollem Monat, also 6 Prozent pro Jahr. Wird die Klage abgewiesen, muss die oder der Steuerpflichtige somit nicht nur die berechnete Steuerschuld begleichen, sondern darauf auch noch Zinsen berappen.

Aktueller Fall mit mehr als 9.000 Euro Aussetzungszinsen

In einem aktuell behandelten Fall hatte ein Arbeitnehmer seinen Einkommensteuerbescheid angefochten. Die Vollziehung wurde ausgesetzt, doch mit seiner Klage gegen den Bescheid hatte er keinen Erfolg. Da sich das Ganze recht lange hinzog, setzte das Finanzamt schließlich Aussetzungszinsen für 78 volle Monate an – und zwar die gesetzlich vorgesehenen 0,5 Prozent pro Monat. Dadurch kam für den Mann zusätzlich zur Steuerschuld eine Zinsbelastung von 8.814 Euro auf die fällige Einkommensteuer und 526 Euro auf den fälligen Solidaritätszuschlag zusammen – also insgesamt über 9.000 Euro nur an AdV-Zinsen.

Der Betroffene legte Einspruch ein, den das zuständige Finanzamt als unbegründet zurückwies. Daraufhin klagte er vor dem Finanzgericht mit der Begründung, die Höhe der Zinsen sei verfassungswidrig und dürfe nicht erhoben werden. Das Finanzgericht schloss sich dieser Sichtweise aber nicht an. Der Kläger ging in Revision, somit landete der Fall beim Bundesfinanzhof. Und der BFH kam zu der Auffassung, dass der Zinssatz für Aussetzungszinsen von 0,5 Prozent pro Monat (6 Prozent pro Jahr) ab dem Jahr 2019 verfassungsrechtlich nicht haltbar sei.

BFH: Bundesverfassungsgericht muss entscheiden

Der Knackpunkt für den BFH ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aus dem Jahr 2021 und die daraus folgende Änderung der Abgabenordnung. Das BVerfG hatte geurteilt, dass der damals geltende Zinssatz von monatlich 0,5 Prozent beziehungsweise 6,0 Prozent im Jahr für Nachzahlungen von Steuerpflichtigen an das Finanzamt ab 2019 zu hoch sei und somit verfassungswidrig, also mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Daraufhin änderte der Gesetzgeber den Zinssatz rückwirkend ab 2019 auf 0,15 Prozent pro Monat beziehungsweise 1,8 Prozent im Jahr.

Allerdings hatte sich das BVerfG-Urteil lediglich auf Nachzahlungszinsen sowie Erstattungszinsen bezogen – und somit nicht auf Aussetzungszinsen. Deshalb beträgt der AdV-Zinssatz aktuell noch immer 0,5 Prozent pro Monat beziehungsweise 6,0 Prozent im Jahr. Und diese Tatsache ist nach Auffassung des Bundesfinanzhofs verfassungswidrig. Deshalb hat er das Bundesverfassungsgericht um eine Entscheidung dazu gebeten.

Der BFH begründet diesen Schritt jedoch nicht nur damit, dass der aktuelle gesetzliche Zinssatz für Aussetzungszinsen während der anhaltenden strukturellen Niedrigzinsphase grundsätzlich unverhältnismäßig hoch sei. Vielmehr sieht er auch eine Ungleichbehandlung, die verfassungsrechtlich nicht akzeptabel sei. Denn Steuerpflichtige, die dem Finanzamt Zinsen schulden, weil sie die Steuer wegen einer Aussetzung der Vollziehung nicht bezahlt haben, müssen aktuell deutlich höhere Zinsen zahlen als Steuerpflichtige, die Nachzahlungszinsen entrichten müssen, weil ihre Steuerfestsetzung zu einem für sie nachteiligen Unterschiedsbetrag geführt hat (BFH-Beschluss VIII 9/23, veröffentlicht am 22. August 2024).
 

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